Hedonismus und Kirche

Dezember 21, 2010 § 2 Kommentare

Im Alltag heissen unsere Pilgerstätten Goldmarie, Mia Mohnstreusel oder Beckett’s Kopf. Wir lassen es uns gut gehen, weil wir es können. Glauben indes spielt in unserem Leben gemeinhin keine Rolle. Wir denken vor allem an unsere Familie, unsere Jobs und ab und zu auch an Tragfähigkeit der Erde. Nicht aber an Gott. Jetzt allerdings ist die Zeit der Einkehr, Besinnung und Ankunft: Weihnachten steht vor der Tür.

Im Alltag haben wir uns längst abgewandt von der institutionalisierten Religion. Wenn wir an der Gethsemanekirche vorbeigehen, dann ist sie für uns lediglich ein Denkmal für die friedliche Revolution im Herbst ’89 oder ein Austragungsort für von uns gelegentlich besuchte klassische Konzerte. Ein Gebäude, auf das wir im Sommer blicken, wenn wir auf der Bank vor der Kleinen Eiszeit sitzen und unser Walnusseis schlecken.

Meine Frau ist einem streng katholischen Elternhaus aufgewachsen und hat sogar einen Onkel, der Pfarrer ist. Heimlich unterhält dieser eine sexuelle Beziehung zu seiner Haushälterin, was zwar verlogen, aber immer noch besser ist, als vieles andere, was wir in diesem Jahr aus der katholischen Kirche hören mussten. Meine Frau ist längst aus der Kirche ausgetreten und würde – wenn sie ein Facebook-Profil hätte – wohl „Atheist“ bei „religiöse Ansichten“ angeben. Einen Teil der ersparte Kirchensteuer investiert sie in verschiedene soziale Projekte, für den Rest kauft sie sich Schuhe. Ich selbst bin evangelisch, aber in einem vollkommen säkularisierten Haus groß geworden, zahle noch immer Kirchensteuern, und frage mich beim Blick auf meinen Steuerbescheid alljährlich, warum ich das eigentlich tue.

Ich habe Zweifel. Die Frage nach der Religion stellt sich im allgemeinen zur Hochzeit (standesamtlich), Taufe der Kinder (ja), Kinderbetreuung und Schule (nichtkonfessionell) und jedes Jahr zu Weihnachten. Die Antworten fallen uneinheitlich aus.

Seit einigen Jahren ist in unserem Freundeskreis der Trend zu vernehmen, Weihnachten gemeinsam in die Kirche zu gehen. Wir haben uns diesem bislang stets erfolgreich entziehen können; schließlich besuchen wir ja auch im restlichen Jahr keine Gottesdienste. Warum sollten wir dies nun ausgerechnet am Heiligabend tun? Mehrfach wurden wir in diesem Jahr jedoch bereits von Freunden gefragt, ob wir zusammen mit ihnen einen Gottesdienst besuchten. Schließlich sei es ja ganz schön, so feierlich und auch für unseren Sohn wertvoll, weil christliche Traditionen und Werte elementare Bestandteile unserer Gesellschaft seien etc. Was ich mich allerdings dabei zunehmend frage: Ist diese Art des Gottesdienstbesuchs am Heiligabend nicht eher eine bigotte Modeerscheinung und folkloristische Tradition? Ein Trend, dem man gerade folgt, weil Gesellschaft, Medien und Politik versuchen, uns weiszumachen, dass es irgendwie dazugehöre, zu Ehren der Geburt Christi ein Gotteshaus zu besuchen?

Können wir nicht ohne Papst und EKD nach Werten leben, die das menschliche Miteinander besser machen? Wir denken: ja. Natürlich ist es uns auch wichtig, die Gesellschaft daran teilhaben zu lassen, dass es uns relativ gut ergeht. Aber brauchen wir dafür wirklich Gesangsbücher und Sakramente? Wir denken: nein. Sicher wäre das Leben leichter, wenn man einen gefestigten Glauben hätte, aber wir haben ihn nun einmal nicht. Die Kirche als Instution mit all ihren überholten Traditionen und Hierarchien hat uns längst ratlos zurückgelassen. Mein Vorsatz für’s neue Jahr: Austreten. Die ersparten Kirchensteuern werde ich selbstverständlich einer Wohltätigkeitsorganisation meiner Wahl zukommen lassen. Wir sind zwar an unserem eigenen Wohlergehen interessiert, aber die reine Lehre des Hedonismus leben wir dennoch nicht. Wir sind Hipster, aber bleiben kritisch.

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